Das neue „Unternehmensstrafrecht“

Das neue „Unternehmensstrafrecht“

Am 22. August 2019 verkündete die Bundesjustizministerin den ersten Entwurf des sogenannten Verbandssanktionengesetzes. Heute, dem 22. April 2020, wurde der aktualisierte Entwurf vom 20. April 2020 veröffentlicht, der so in der Koalition der Regierungsparteien bereits abgestimmt ist.

Schon häufig stand zur Debatte, ob auch die deutsche Rechtsordnung eines „Unternehmensstrafrechts“ bedarf. Insoweit fristet Deutschland ein gewisses Inseldasein; die absolute Mehrheit der Industriestaaten kennt ein Unternehmensstrafrecht/ Strafrecht gezielt für Unternehmen schon lange. In den USA stößt das Fehlen einer solcher Regelung eher auf Unverständnis.

Jetzt scheint es tatsächlich so, dass das Gesetz verabschiedet wird und damit bis zu einem gewissen Grad eine neue Ära, dogmatisch wie tatsächlich, eingeläutet wird. Mit dem Unternehmensstrafrecht entsteht ein neuer Rechtsbereich – auch wenn das Gesetz freilich aus dogmatisch-ideologischen Gründen nicht Strafrecht heißen darf. Auf die Praxis wird die „Namensfrage“ des Gesetzes allerdings wenig Einfluss haben.

Inhaltlich soll dieses Gesetz die „Unternehmenskriminalität“ erfassen, das heißt, den Unternehmen eine über das Ordnungswidrigkeitenrecht hinausgehende Sanktionsverantwortlichkeit zuweisen. Das Herzstück ist dabei die Verbandsgeldsanktion, die es angelehnt an das Kartellrecht – oder auch ausländische, insbesondere angelsächsische Rechtsordnungen –ermöglichen soll, wirklich substantielle Geldsanktionen gegen ein Unternehmen, respektive einen Verband zu verhängen. Diese können bis zu 10% des durchschnittlichen Jahresumsatzes eines Unternehmens betragen.

Die Motivation des Gesetzgebers zur Einführung des Verbandssanktionengesetzes ist nachvollziehbar; die Einführung selbst im Ergebnis wohl beinahe eine logische Konsequenz. Insoweit schafft das Gesetz nicht ernsthaft eine neue Rechtsrealität, sondern schließt zu dieser auf. Bereits jetzt, vor Einführung des Verbandssanktionengesetzes, sind Unternehmen Adressaten von Strafverfahren, international wie national. Es besteht insoweit auch derzeit kein rechtsfreier, teilweise aber ein regelungsfreier Raum.

Neben scharfen Sanktionen sieht das Verbandssanktionengesetz mehrere echte Verbesserungen der Rechtslage von Unternehmen im Strafverfahren vor. Wie diese in der Praxis tatsächlich gelebt werden, wird sich zeigen.

Der Bundesgerichtshof hat anerkannt, dass „Compliance-Maßnahmen“, die zur Verhinderung einer Straftat aus der Unternehmenssphäre ergriffen werden, oder auch solche Maßnahmen, die im Nachgang zu einer solchen Tat ergriffen werden, bei der Verhängung von Sanktionen gegen das Unternehmen zu berücksichtigen sind. Dies sieht auch der aktuelle Gesetzesentwurf dem Grunde nach ausdrücklich vor. In welchem Umfang eine Strafmilderung erfolgen soll, lässt das Gesetz allerdings offen und gibt den Gerichten somit einen weiten Ermessenspielraum ohne echte Orientierungsgrößen.

Die Durchführung einer sog. „internen Untersuchung“ nach Aufkommen eines Compliance-Verdachtsfalls ist schon lange fester Bestandteil der rechtlichen Praxis. Nach dem aktuellen Entwurf des Gesetzes soll sich der Sanktionsrahmen im Fall einer transparent und fair geführten internen Untersuchung mindestens halbieren und eine Sanktion könnte in diesem Fall sogar vollständig entfallen. Auch hier bleiben aber teils große Unsicherheiten, unter welchen konkreten Bedingungen diese Milderung genau eintreten soll und wie die Rechte von Unternehmen bei Durchführung interner Untersuchungen geschützt werden können.

Der Gesetzesentwurf versucht allerdings neben der Normierung von Rechtsfolgen bei Verstößen den Betroffenen auch belastbare Rechte an die Hand zu geben; das rückt bei aller Kritik bisweilen etwas in den Hintergrund. Die Einführung des Gesetzes ist daher auch aus Unternehmenssicht nicht ausschließlich kritisch zu sehen; es bringt teilweise auch Vorteile, zumindest in Form von einer gewissen Rechtssicherheit. Es wird seitens der Ermittlungsbehörden aber auch gelten, diese Rechte ernst zu nehmen. Die bleibenden Fragezeichen müssen wohl durch die Rechtspraxis gelöst werden.

Hier der Link zum aktuellen Entwurf https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Staerkung_Integritaet_Wirtschaft.html