Kein Annahmeverzugslohn ohne Auskunft über anderweitigen Erwerb

Das Arbeitsgericht Stuttgart hat die Position von Arbeitgebern im Kündigungsschutzprozess weiter gestärkt. Mit Urteil vom 23. Februar 2023 (Az.: 25 Ca 956/22) hat das Gericht festgestellt, dass einem Arbeitnehmer kein Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzugslohn bei vorangegangener unwirksamer Kündigung gegen den Arbeitgeber zusteht, soweit der Arbeitnehmer keine oder nur unzureichende Auskünfte über anderweitigen Erwerb oder böswillig unterlassenen Erwerb erteilt.

Hintergrund der Entscheidung:

Obsiegt ein Arbeitnehmer im Rahmen eines von ihm angestrengten Kündigungsschutzprozesses aufgrund einer zuvor vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung, wird die Kündigung also als unwirksam erachtet, ist der Arbeitgeber regelmäßig zur Zahlung von Annahmeverzugslohn verpflichtet. Dies stärkt in der Regel die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer in Bezug auf eine Abfindungszahlung.

Dieser Anspruch des Arbeitnehmers auf Annahmeverzugslohn besteht allerdings nicht uneingeschränkt, vielmehr muss sich der Arbeitnehmer etwaig entgangenen Zwischenverdienst anrechnen lassen. Sofern das Arbeitsverhältnis aufgrund (rechtskräftig feststehend) unwirksamer Kündigung fortbestanden hat, richtet sich die Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 11 Nr. 1 und 2 KSchG (weitgehend inhaltsgleich zu § 615 Satz 2 BGB).

Schon nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hindert die Anrechnungslage bereits die Entstehung des Anspruchs auf Annahmeverzugslohn und führt gerade nicht zu einer Aufrechnungslage.

So muss sich der Arbeitnehmer auf das geltend gemachte Arbeitsentgelt insbesondere das anrechnen lassen, was er durch anderweitige Arbeit verdient hat (Nr.1) und was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen (Nr. 2). § 11 Nr. 2 KSchG bezieht sich insbesondere auf Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit. Diesbezüglich steht dem Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer ein Auskunftsanspruch gerichtet auf die Mitteilung von Vermittlungsvorschlägen der Bundesagentur für Arbeit zu.

In diesem Zusammenhang trifft den Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des BAG außerdem eine sekundäre Darlegungslast, denn der primär darlegungsbelastete Arbeitgeber hat in der Regel weder nähere Kenntnisse über den Zwischenverdienst oder die Vermittlungsvorschläge noch eine Möglichkeit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung. Sofern der Arbeitgeber also seiner primären Darlegungslast genügt, trifft den Arbeitnehmer die Pflicht, sich zu den vom Arbeitgeber behaupteten Tatsachen wahrheitsgemäß und vollständig zu erklären.  

Genügte der Arbeitnehmer dieser sekundären Darlegungslast im Prozess nicht, wurden Klagen von Arbeitnehmern nach bisheriger Rechtsprechung des BAG nur als „zurzeit unbegründet“ abgewiesen. Dies ermöglichte bisher dem Arbeitnehmer eine spätere Auskunftserteilung und nochmalige klageweise Geltendmachung der Verzugslohnansprüche. Dies beurteilt das Arbeitsgericht Stuttgart nunmehr anders.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart:

Der aktuellen Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart, die nunmehr die Situation für Arbeitnehmer verschlechtert, lag ein eben solcher Fall zugrunde:

Die vom Arbeitgeber ausgesprochenen beiden Kündigungen hatten in den vom Arbeitnehmer angestrengten Kündigungsschutzprozessen keinen Bestand. Dementsprechend machte der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber Annahmeverzugslohn seit dem Zeitpunkt der ersten Kündigung geltend. Der Arbeitgeber setzte dieser Forderung, neben dem Verjährungs- bzw. Verfallseinwand, insbesondere entgegen, dass sich der Arbeitnehmer anderweitige Einkünfte anrechnen lassen müsse.

Das Arbeitsgericht urteilte daraufhin, dass zwar grundsätzlich ein Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzugslohn seit Zugang der ersten Kündigung bestehe, da diese, ebenso wie die zweite Kündigung, unwirksam war und sich der Arbeitgeber daher seit diesem Zeitpunkt in Annahmeverzug bzgl. der Dienste des Arbeitnehmers befand.

Nach der Auffassung des Arbeitsgerichts sei der Arbeitnehmer aber seiner sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen, da er dem Vortrag des Arbeitgebers weder entgegengetreten sei noch die von ihm verlangten Auskünfte hinsichtlich anderweitigen Erwerbs bzw. der Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit erteilte. Dies führt in Anwendung des § 138 Abs. 1 und 2 ZPO, so das Gericht, dazu, dass sich der Arbeitnehmer einen hypothetischen Erwerb gemäß § 11 Nr. 2 KSchG in voller Höhe anrechnen lassen muss, weshalb der Anspruch auf Annahmeverzugslohn schon nicht entstanden sei.

Ausdrücklich stellt sich das Arbeitsgericht Stuttgart darüber hinaus der bisherigen Rechtsprechung des BAG entgegen, wonach eine solche Klage nur als „zurzeit unbegründet“ anzusehen sei. Das Arbeitsgericht Stuttgart urteilte vielmehr, dass die Klage als „endgültig unbegründet“ abzuweisen ist. Begründet wird dies damit, dass sich die prozessuale Situation nicht von anderen Situationen unterscheide, in denen den Arbeitnehmer eine sekundäre Darlegungslast trifft. Zum Vergleich wird nachvollziehbar auf die Anforderungen an die Darlegungslast bei krankheitsbedingten Kündigungen verwiesen. Der Sachvortrag des Arbeitgebers gilt insoweit als zugestanden und dem Arbeitnehmer ist es verwehrt, den Anspruch bei Nachholung der Auskunft nochmals geltend zu machen.

Das Arbeitsgericht Stuttgart hat die Berufung zugelassen. Es bleibt also abzuwarten, ob das Urteil in den höheren Instanzen Bestand haben wird.

Auswirkungen auf die Praxis:

Das Arbeitsgericht Stuttgart hat mit seinem Urteil die Grundsätze zur abgestuften Darlegungslast nachvollziehbar angewendet und betont hierdurch die Wichtigkeit des Sachvortrags bereits in der ersten Instanz. Hierdurch wird insbesondere deutlich, dass Zahlungsklageverfahren auch bei unwirksamer Kündigung keinesfalls ein Selbstläufer für den Arbeitnehmer sind.

Kritisch könnte dabei jedoch die Verkürzung der Rechtsposition des Arbeitnehmers zu sehen sein, die sich aus den gesetzlichen Regelungen direkt nicht so ergibt. Der Auskunftsanspruch muss an sich zunächst eingeklagt werden. Es ist auch zu erwarten, dass mit dem Umstand argumentiert wird, dass im Arbeitsrechtsprozess die 2. Instanz – anders als vor den ordentlichen Gerichten – regelmäßig als volle Tatsacheninstanz behandelt wird.

Sollte die Entscheidung auch in den höheren Instanzen Bestand haben, hätte dies jedenfalls zur Folge, dass sich Arbeitnehmer einem höheren Druck ausgesetzt sähen, ihrer sekundären Darlegungslast nachzukommen.

Allerdings ist denkbar, dass das Urteil und die Risiken für die Arbeitnehmer nun in der Praxis zunächst die Bereitschaft zu einer gütlichen Einigung durch den Arbeitnehmer erhöht, was gleichzeitig die Position des Arbeitgebers in solchen Fällen erheblich stärkt.