Haften Vorstände für Unternehmensgeldbußen nach dem Verbandssanktionengesetz? Der Gesetzgeber schweigt

Das Unternehmensstrafrecht für Deutschland kommt, auch wenn man es nicht so nennen darf. Dass die große Koalition das sog. Verbandssanktionengesetz in dieser Legislaturperiode verabschiedet, scheint trotz Corona-Krise inzwischen als sicher. Erst am 20. April 2020 wurde ein aktualisierter, wohl finaler Entwurf für das Gesetz vorgelegt.

Das Verbandssanktionengesetz sieht im Vergleich zur bisherigen Praxis eine erhebliche Verschärfung für Unternehmen vor. So soll einerseits das sog. Legalitätsprinzip gelten, d. h. die Staatsanwaltschaft muss in jedem Fall eines Anfangsverdacht auch gegen Unternehmen ermitteln und kann dies nicht, wie bisher, im Wege des behördlichen Ermessens entscheiden. Daneben wird der Rahmen für Geldbußen gegen Unternehmen auf maximal bis zu 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes auf Konzernebene in gewaltige Sphären erhoben, die man bislang nur aus Kartellsachverhalten kannte. Im Gegenzug sieht das Gesetz klare Privilegierungen für Unternehmen vor, die effektive Compliance-Systeme vorhalten und sich proaktiv selbst um die Aufklärung von Straftaten aus seiner Sphäre kümmern. Die Compliance-Arbeit als auch die interne Untersuchung zum Zweck der Aufklärung, muss – aus Sicht der Verfolgungsbehörden – angemessen sein, um den gewünschten Effekt der Sanktionsmilderung oder gar eines Sanktionsentfalls bewirken zu können.

Mit diesem Gesetz zieht Deutschland im internationalen Vergleich nach und schafft ein modernes Unternehmensstrafrecht. Es ist dabei ausdrücklich zu begrüßen, dass sich eine ernsthafte und professionelle Compliance-Arbeit für das Unternehmen auch bei Eintritt eines Compliance-Falles verbindlich „lohnen soll.“

Einen wichtigen Aspekt, der Rechtsprechung, Literatur aber vor allem die Praxis bereits seit Jahren beschäftigt, lässt das Gesetz jedoch unberücksichtigt: Kann das Unternehmen, Kosten der Verteidigung, der internen Untersuchung oder gar die Sanktion selbst von Vorständen und Geschäftsführern als Schadensersatz fordern und sich dabei auf die  Begründung stützen, dass Compliance-System sei nicht geeignet (genug) gewesen, die Verstößen zu verhindern?

Es scheint ganz so, als habe der Gesetzgeber diese wichtige Frage bewusst nicht regeln wollen, worin insbesondere Vorstände und Geschäftsführer ein erhebliches Versäumnis sehen dürften. Sowohl das österreichische Pendant, das sog. Verbandsverantwortlichkeitsgesetz, als auch ein an diesem Gesetz orientierter erster Vorschlag für ein Unternehmensstrafrecht in Deutschland aus der Wissenschaft (sog. Kölner Entwurf) sehen/sahen ausdrücklich vor, dass jedenfalls Geldbußen, die gegen Unternehmen verhängt werden, nicht regressfähig sind, mithin gegenüber Organvertretern oder Mitarbeitern nicht als Schaden geltend gemacht werden können. Hierdurch soll der sanktionierende Charakter der Geldbuße unterstrichen werden, der verloren ginge, könnte das Unternehmen die Geldbuße einfach „weiterreichen“.

Nun ist es in der Praxis nicht gerade leicht, eine erhebliche Geldbuße schlicht „weiterzureichen“. Diese dürfte jedenfalls bei einer Orientierung an 10% des Konzernumsatzes die meisten Privatpersonen klar überfordern. Hier greift dann u. U. die D&O-Versicherung ein, dies allerdings nur bei fahrlässigem Verhalten des Organvertreters, etwa weil dieser kein effektives Compliance-System geschaffen hat oder Verdachtsmomenten für Straftaten nicht nachgegangen ist. Die Schwelle zur Fahrlässigkeit ist allerdings schneller überschritten, als man glaubt. Zumindest wird dieser Vorwurf in der Praxis in jüngster Zeit vermehrt erhoben, um hohe Kosten für interne Untersuchungen oder Anpassungen an Compliance-Systemen ersetzt zu verlangen.

Aber kann dieser Ansatz wirklich richtig sein? Das ist spätestens im Einzelfall sehr fraglich. Und wie ist der Beweis darüber zu führen, dass der konkrete Verstoß und die interne Untersuchung nicht erfolgt wären, wenn das Compliance-System (noch) geeigneter gewesen wäre? Mit dem Verbandssanktionengesetz wird diese Frage sogar noch bedeutsamer als sie dies derzeit ohnehin schon ist. So wird in Zukunft die Straftat, die nicht von einer Leitungsperson, sondern einer anderen Person, die im Pflichtenkreis des Unternehmens tätig ist (vgl. „associated person“), dem Unternehmen zugerechnet, wenn das Compliance-System – vereinfacht – nicht geeignet war, den Verstoß zu verhindern oder jedenfalls wesentlich zu erschweren.

Mit derselben Argumentation einer Haftungsbegründung könnte man dem Grunde nach auch Ersatz für dem Unternehmen auferlegte Geldbußen verlangen. Vorstände und Geschäftsführer, die allein fahrlässig handeln, könnten dann in voller Höhe haften. Sowohl für die Versicherer als auch die Vorstände/Geschäftsführer stellt diese Regelungslücke ein enormes Risiko dar.

Der Gesetzgeber übergibt die Verantwortung für die Frage der Schadensersatzfähigkeit von Unternehmensgeldbußen an die Rechtsprechung. Wie sich diese entscheiden wird, ist nicht absehbar. Schon seit Jahren tobt diesbezüglich ein erheblicher Streit innerhalb der juristischen Wissenschaft. Während einige Vertreter wie der österreichische Gesetzgeber argumentieren, die Geldbuße solle das Unternehmen treffen und dürfe daher nicht regressbierbar sein, argumentieren andere, eine Geldbuße sei, rein wirtschaftlich betrachtet, ein Vermögensschaden für das Unternehmen, der nach den allgemeinen Regeln des Zivilrechts auch ersetzt verlangt werden kann, wenn Organvertreter hierfür verantwortlich sind.

Der Gesetzgeber hat es unterlassen, zu dieser wichtigen Frage an der Schnittstelle von Straf- und Zivil- bzw. Haftungsrecht eine eigene Position einzunehmen. In welche Richtung sich die Praxis entwickelt, bleibt abzuwarten und wird teilweise eine Herausforderung darstellen, die neben dem juristischen auch ein gewisses wirtschaftliches und gesellschaftspolitisches Fingerspitzengefühl erfordert.

Vorstände und Geschäftsführer sind in jedem Fall auch in eigenem Interesse mehr denn je gut beraten, die Effektivität von Compliance-Systemen regelmäßig überprüfen zu lassen und Verdachtsmomenten für Straftaten aus der Sphäre des Unternehmens konsequent nachzugehen.